"Erzähltexte" von Klaus Pehl und Reimer von Essen 1995
Orchestriert
nach Scott Joplins Original-Klavierauszug von Klaus Pehl 1994/95.
Seit Juli
2021 stehen für sieben Stücke (s. u. Abschnitt "Programm
...") die Band-Arrangements/Orchestrationen als Stimmen/Parts und
Partitur/Score im PDF-Dateiformat (sowie dazu eine Hörprobe als MIDI-Datei) zur
Verfügung; ebenso Bücher/Books für die Instrumente
Klarinette in B,
Kornett in B,
Posaune,
1. Geige,
2. Geige,
Cello,
Bass,
Piano und
Schlagzeug.
Zu diesem Angebot gibt es sozusagen einen "Begleittext"
(in PDF) mit Erläuterungen. Auch über Links in diesem Text kann man alle Noten
erreichen.
Puppen, Bühnenbild und Szenen von Lilo Schütrumpf miit "Lilos Puppenbühne"
erstmals aufgeführt am 8. Mai 1995 in Schwalbach am Taunus unter Leitung von Matthias Warzecha
Wiesbaden 15.12.1995
Programm & ... |
Scott Joplins Vorwort zu "Treemonisha" |
Erzähler Reimer von Essen; in späteren Aufführungen bis 2001 auch Lil von Essen
Lilos Puppenbühne: Lilo Schütrumpf, Gerd Schütrumpf (RIP); in späteren Aufführungen bis 2001 Heinz Rauschelbach (RIP), Else Rauschelbach, Stefan Schütrumpf/Reni Voigt
Ragtime Society Frankfurt in der Besetzung Klaus Pehl (cl), Horst Debnar-Daumler (co), Herbert Fennel (1st vl), Jürgen Seeger (2nd vl), Thomas Spahn (vc), Jutta Klauer (b), Michael Freund (p) und Peter Hermann (dr) unter Leitung/dir. von Matthias Warzecha; in späteren Aufführungen bis 2001 auch Thomas Spahn (vom Cello-Pult aus). In diesen Zeiten gab es dann und wann auch Aushilfen (s. auch Ehemalige/Gäste).
Orchestration Klaus Pehl: vollständig/complete (Parts, Score, dazu MIDIs), Auszüge/Excerpts *; Piano-MIDIs für alle 27 "Nummern" Dank/Thanks an/to: Gary Davis
In meiner Übersetzung; das englische Original ist dem 1911 im Selbstverlag verlegten Klavierauszug von Scott Joplin als Vorwort vom Komponisten vorangestellt. "negroe" in Joplins Text erlaube ich mir, "zeitgenössisch" mit "Neger" (zu Joplins Zeiten noch kein N-Wort) zu übersetzen.
"Das Geschehen der Oper spielt auf einer Plantage irgendwo im Staat Arkansas nordwestlich der Stadt Texarkana drei bis vier Meilen vom Red River. Die Plantage ist von einem dichten Wald umgeben.
Einige Neger-Familien lebten auf der Plantage und andere Familien zurückgezogen im Wald.
Damit der Leser die Geschichte besser versteht, mache ich einige wenige Angaben zu den Negern auf dieser Plantage vom Jahr 1866 bis 1884.
Das Jahr 1866 findet sie in tiefer Unwissenheit ohne jemand, der sie führt, nachdem die Weissen kurz nach der Freilassung der Neger aus der Sklaverei weggezogen sind und die Plantage einem vertrauenswürdigen Neger-Bediensteten namens Ned übergeben haben.
Alle Neger ausser Ned und seiner Frau Monisha waren abergläubisch und glaubten an Magie. Monisha als Frau war manchmal beeindruckt von dem, was die erfahreneren Magier behaupteten.
Ned und Monisha hatten keine Kinder. Sie hatten häufig gebetet, dass ihr Heim eines Tages von einem Kind gesegnet würde, das Monisha Gesellschaft leisten könnte, wenn Ned von zu Hause fort war. Sie träumten auch davon, das Kind so zu erziehen, dass es später die Menschen ihrer Umgebung unterrichten konnte, damit sie auf etwas Besseres und Höheres bauen könnten als Aberglaube und Magie.
Die Gebete von Ned und Monisha wurden in bemerkenswerter Weise erhört. Eines Tages, Mitte September 1866, fand Monisha ein Baby unter einem Baum, der vor ihrer Hütte wuchs. Es stellte sich als hellbraunhäutiges Mädchen, ungefähr zwei Tage alt, heraus. Monisha nahm das Baby in ihre Hütte. Ned und sie zogen es auf wie ein eigenes Kind.
Sie wollten, dass das heranwachsende Kind sie liebte, wie es seine wirklichen Eltern geliebt haben würde. So beschlossen sie, es solange in Unwissenheit darüber zu lassen, wie es zu ihnen gekommen war, bis es alt genug sein würde, um zu verstehen. Sie wussten aber auch, dass die Nachbarn dem Kind etwas erzählen würden, wenn sie die Tatsachen kannten. Um sie zu täuschen, satteltealso Ned seine Mulis und zog mit Monisha und dem Kind zu einer Familie alter Freunde, die zwanzig Meilen weiter lebten und die sie seit drei Jahren nicht gesehen hatten. Sie sagten der Familie, dass das Kind gerade eine Woche alt sei.
Ned gab diesen Leuten sechs Fuder Korn und vierzig Pfund Fleisch, damit sie Monisha und dem Kind erlaubten, acht Wochen bei ihnen zu bleiben. Das, so dachte Ned, würde Monishas Gesundheit gut tun. Die Freunde stimmten gerne zu, dass sie eine solch lange Zeit bei ihnen bleiben könne.
Ned zog allein zurück zur Plantage und erzählte seinen alten Nachbarn, dass Monisha beim Besuch alter Freunde Mutter eines kleinen Mädchens geworden sei.
Die Nachbarn waren natürlich sehr überrascht, konnten aber nicht anders als zu glauben, dass Neds Geschichte wahr war.
Am Ende der acht Wochen holte Ned Monisha und das Kind nach Hause. Er empfing die Glückwünsche seiner Nachbarn und Freunde und war froh, dass sein Plan so gut aufging.
Monisha gab zuerst dem Kind ihren eigenen Namen. Aber als das Kind drei Jahre alt war, spielte es derart gerne unter dem Baum, unter dem es gefunden worden war, dass Monisha ihm den Namen Tree-Monisha gab.
Als Treemonisha sieben Jahre alt wurde, verabredete Monisha mit einer weissen Familie, dass sie für sie waschen und bügeln und Ned ihr Holz hacken würden, wenn die Frau des Hauses Treemonisha unterrichten würde. Denn eine Schule wäre für Treemonisha viel zu weit gewesen. Die weisse Frau willigte ein, und das Ergebnis war, dass Treemonisha der einzig gebildete Mensch in der Nachbarschaft war. Die anderen Kinder waren immer noch unwissend, da sie nicht so weit zu einer Schule gehen konnten.
Zodzetrick, Luddud und Simon, drei alte Männer, verdienten ihren Lebensunterhalt, indem sie in der Nachbarschaft als Magier umherzogen, kleine Glücksbeutel und Hasenpfoten verkauften und die Leute in ihrem Aberglauben bestärkten.
Diese Melodie ist das Hauptthema in der Oper und steht für das Glück des Volkes, nachdem es sich von den Magiern und der Verführung des Aberglaubens frei fühlt.
Die Oper beginnt im September 1884. Treemonisha ist jetzt achtzehn Jahre alt und bereitet sich auf ihre Aufgabe als Lehrerin und Führerin ihres Volkes vor."
Nur zu dieser Zeit, Anfang des 20. Jahrhunderts, als Afro-Amerikaner bereits hinreichend in Kontakt mit europäischer Musik gekommen waren, und an den Orten, wo der aufkommenden Musikindustrie die rhythmusbetonte Musikvielfalt der ehemaligen schwarzen Sklaven hochwillkommen war, konnte jene Musik entstehen, die später Ragtime genannt wurde. Von Aufbau, Harmonik und Metrum ganz an die europäische Marsch- und Salonmusik des vergangenen 19. Jahrhunderts angelehnt, besteht der besondere Reiz der Rags in den vielfältig synkopierten Melodien, die eher von Banjo-Spielern in den Sklavenhütten auf den Baumwoll-Plantagen stammen. Die Vorgeschichte der bis dato nicht auf Noten gedruckten, geschweige denn auf einem Tonträger gebannten Rhythmen liegt in der Karibik (für die Unterhaltungsbranche erst kürzlich in grösserem Ausmass wiederentdeckt) und weiter zurückgehend in Afrika.
Scott Joplin passte in diese Gegensätze. 1868 wurde er in Texarkana, nahe Little Rock, geboren. Seine Eltern waren gerade erst freigelassene Sklaven, die die musikalische Familie durch Hausmeisterei und Wäscherei ernährten. Der Kontakt zu einer weissen Familie (ähnlich wie im Vorwort zu "Treemonisha" erwähnt) verschaffte Scott die musikalische Ausbildung am Klavier durch einen deutschen Musiklehrer. Die Wanderjahre als Solo-Pianist, Kornettist in Bands oder Leiter von Gesangsgruppen führten Joplin 1896 nach Sedalia, einem kleinen Ort zwischen St. Louis und Kansas City. Dort schaffte er gleich mit seiner ersten Komposition "Maple Leaf Rag" (1899) den Durchbruch. Ein weisser Eishändler, John Stark, erkannte die Zeichen der Zeit und warf sich auf das Verlegen von Musik-Noten, dem Geschäft in der Vor-Platten-Zeit. Er räumte Scott Joplin, wohl erstmalig für einen schwarzen Musiker, bescheidene Gewinnbeteiligung an den zigtausendfach verkauften Noten ein. John Stark hat "Classic Rags" als Marketing-Begriff geprägt, als er sich mit Joplins Kompositionen gegen die allmächtigen New Yorker Verleger behaupten musste.
Wie seine Kollegen beteiligte sich Joplin an den grossen Ragtime-Wettbewerben auf den Weltausstellungen in St. Louis 1904 und Chicago 1906. Aber er hatte, nicht zuletzt infolge seiner europäischen Musikerziehung, weitergehende, nicht gerade leicht verkäufliche Ambitionen. 1906 schrieb er ein Ragtime-Ballett. John Stark war nach langem Zögern nur bereit, eine Kurzfassung zu veröffentlichen. Eine erste Oper (vermutlich eher Revue-artig) "A Guest Of Honour" ging verloren. 1909 ging Joplin nach New York, hauptsächlich, um dort sein zweites grosses Werk "Treemonisha" auf die Bühne zu bringen. Vergebens, kein Produzent war dazu bereit. Eine ernsthafte Oper, von einem Schwarzen komponiert, mit einer Handlung, deren Botschaft sich deutlich an die Afro-Amerikaner wandte, war offensichtlich nicht "bühnenreif". So frustriert er war: vor seinem Tod 1917 hat er vorhergesagt, dass sein Nachruhm sich in spätestens 50 Jahre einstellen würde. 1974 an der Oper in Houston, in der Hoch-Zeit eines Ragtime-Revival, fand die erste Inszenierung von "Treemonisha" statt. Weitere Aufführungen in den USA sollten noch in den 1970er folgen. Inzwischen gab es auch Aufführungen in Europa, z.B. in Paris, aber auch am Stadttheatrer Giessen (1984), wo die Musiker der "Ragtime Society Frankfurt) "Treemonisha" erleben konnten. Die Oper enthält neben den mit grossem handwerklichen Geschick ausgearbeiteten Arien und Recitativen einige der schönsten tänzerischen Ragtime-orientierten Stücke Joplins.
Klaus Pehl, Frankfurt am Main, 01.08.21 klaus.pehl@t-online.de